Karin Haehn
Mein Bedürfnis nach Futter für mein Gehirn befriedige ich normalerweise, indem ich Fachtagungen besuche. Corona bedingt bin ich Mitglied in der Verdener Bücherei geworden und hole mir Fachbücher. Die letzten schönen Tage habe ich benutzt um das Buch: „Das gespaltene Land“ durchzuarbeiten. Das Buch ist 2020 im C. H .Beck-Verlag erschienen –also noch brandneu. Der Autor Hans-Joachim Maaz ist seit vier Jahrzehnten Psychiater und Psychoanalytiker. Außerdem war er Chefarzt an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des Diako Halle.
Hier ein Zitat aus dem Buch: „Warum müssen Normopathien scheitern.“
„Als Normopathie definiere ich eine Gesellschaftspathologie, die nicht als Fehlentwicklung erkannt oder anerkannt wird, weil eine Mehrheit der Bevölkerung im Denken, Fühlen und Handeln ‚gleichgeschaltet‘ ist. Es dominiert dann die Überzeugung, was alle, zumindest eine angenommene Mehrheit, für richtig und gut befindet, das kann ja nicht falsch sein.“ Zwanzig Seiten später lese ich: „In einer Gesellschaftskrise, in der es für den innerlich unfreien nicht mehr selbstverständlich möglich ist, sich mit ständiger Suche in unbegrenzter Fülle und Vielfalt abzulenken und zu betäuben, wird er sich gern mit politischer Korrektheit sichern und stabilisieren. Wirkliche Liberalität heißt zuerst Toleranz gegenüber den eigenen Defiziten, Schwächen und Fehlern und zu akzeptieren, dass man anders ist als alle anderen…“.
Das macht unser Leben ja so lebendig und schön, das wir „Anders“ sind und sein dürfen!
Im Kapitel unter dem Titel „Demokratie, Freiheit und Liberalität in Gefahr“ schreibt Maaz:
„ … um eine innerseelische Demokratisierung zu erreichen, müssen die innere Bedrohung und Besetzung,
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der erlittene Liebesmangel, die Abhängigkeit,
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die erzwungene Hemmung, die durchgesetzte Erpressung,
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die Bequemlichkeit und der Leistungs-Missbrauch,
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als individuelles Problem, als ganz persönliche Störung zur Verhinderung einer gesunden und ganzheitlichen Entwicklung erkannt, verstanden und rational verarbeitet werden…“.
Das ist ein langer, harter Entwicklungsweg, der sich bei mir über Jahrzehnte hingezogen hat.
Unter dem Titel: „Der Klima und Umwelt-Crash“ lese ich: „Am auffälligsten dabei ist, dass die Machtpolitik diese Proteste begrüßt und unterstützt, obwohl sie ja die eigentliche Zielscheibe der Empörung ist. Der Schülerprotest wird kein Gelbwesten Protest werden und lässt sich hervoragend instrumentalisieren….. Indem Greta in Schweden bereits zur Frau des Jahres erklärt wurde und womöglich noch mit dem Friedensnobelpreis erdrückt wird, ist dieser Protestschon längst von der Macht besetzt.“
Sie haben die aufgeweckte junge Frau mit Ehrungen erdrückt. Wie kann sie die Kraft behalten, weiter zu machen und sich auch noch weiter zu entwickeln?
Zu meiner Frage, wie es zum Nationalsozialismus und auch zu dieser heutigen nazistischen Normophathie, kommen konnte, finde ich bei Maaz eine Antwort: „Es ist die frühkindliche Selbst-Entfremdung, die eine innerseelische Demokratisierung verhindert – die nur durch die Kenntnis, die Akzeptanz und Regulation aller persönlichen Fehler und Schwächen möglich wäre.“
Soweit Hans Joachim Maaz. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er die Wichtigkeit der guten und ausdauernden Bindungsbemühungen der erziehungsberechtigten Menschen für unabdingbar erklärt. Deshalb habe ich den Beruf der Wochenpflegerin erwählt und habe schon vor 60 Jahren dagegen protestiert, dass die drei Jahre währende Mutter-Kind Beziehungsarbeit, aus emanzipatorischen Gründen, auf zwei Jahre verkürzt wurde.
Ich glaube noch immer daran, dass eine ungestörte möglichst lange Entwicklungszeit neugeborener Kinder, die Voraussetzung für Bindungsfähigkeit und Bindungsbereitschaft ist.