Isolation in Corona-Zeiten
Uwe Rolfs Alberts
Ein Rundblick
So wirklich kann niemand sagen, wann und wo ein Virus sich zu einer gesundheitlichen Bedrohung entwickelt. Immer geht es darum, aus Angst vor dem Unbekannten eine begreifbare Erklärung zu finden. Durch unsere Unwissenheit und Unkenntnis sind wir dazu verleitet, die unterschiedlichsten Theorien zu entwickeln und so ein Bild zu erstellen, mit dem wir unsere Ohnmacht nicht zulassen. Es ist naturgemäß schwierig, das, was wir nicht sehen und erklären können, zu akzeptieren und besonnen zu reagieren.
Wir leben mit Viren und Bakterien und wir brauchen sie zum Leben und zum Überleben. Im Körper zur Verarbeitung von Nährstoffen und zur Stärkung unseres Immunsystems. So hat uns in diesem Jahr ein aggressiver Virus in Angst und Schrecken versetzt. Dabei ist er nicht der erste dieser Art, nur dass unsere europäische Region diesmal mittendrin steckt, anstatt nur Beobachter ausländischer Katastrophen in China oder Kanada zu sein.
Der bestehende Umfang an Angst unter den Menschen konnte erst durch die modernen Medien zu der herrschenden Verunsicherung führen. Vor den Zeiten von Internet, Fernsehen und Presse blieben Epidemien von der Mehrzahl der Weltbevölkerung unbemerkt. Allenfalls bekamen Menschen in anderen Ländern und Kontinenten Kenntnis von einer Epidemie, wenn Händler oder ausgewanderte Verwandte per Brief davon erzählten. Sicher ist, dass es zu jeder Zeit Viren gab, die die Menschheit befielen. So gab es regionale Bereiche, in denen Ausbrüche stärker zu spüren waren und solche, in denen die Bevölkerung symptomfrei blieb.
Erst durch unsere Reiselust mit rasanten Beförderungsmitteln, sowie durch Berufe, die Menschen rund um den Globus führen, fallen diese regionalen Barrieren. Weil der Mensch zunehmend in den Lebensraum der Tiere eindringt und diesen durch Rodung und Bebauung für sich in Anspruch nimmt, rücken Mensch und Tier dichter zusammen. Wildtiere suchen sich ihren neuen Raum in Städten und Häusern. Die dadurch entstandene Durchmischung von Mensch und Tier erhöht die Gefahr der Übertragung vom Tier auf den Menschen. Das macht es schwierig, virale Bedrohungen auf ihren Ausbruchsort zu begrenzen.
Die Gefahr an Covid19 zu erkranken ist für mich nicht höher, als von einem Auto überfahren zu werden. Handle ich vorausschauend und rücksichtsvoll, und achte auf meine Umgebung, habe ich schon den eigenverantwortlichen Teil erledigt. Tun die anderen das auch, klappt das auch mit dem gesund bleiben. Egal ob im Straßenverkehr oder durch Infektion. Ja, und wenn es mich doch erwischt, dann werde ich meinem Immunsystem vertrauen. Das ich übrigens täglich trainiere. Wie, möchtet ihr nicht wissen…
Meiner Meinung nach hat jede Bakterie und jeder Virus die gleiche Funktion, Covid19 genau so, wie all seine Artgenossen seit Jahrmillionen. Unser Immunsystem anzupassen bedeutet, so hart das auch klingt, die Starken von den Schwachen zu trennen. Ja, und sollte ich einer dieser Schwachen sein, oder beträfe es Angehörige oder Freunde, hätte auch das sicherlich einen höheren Sinn. Das mag lieblos, unschön und abwertend erscheinen. Doch so schön und voller Wunder die Natur auch ist, so grausam und unerbittlich ist sie auch. Doch wer will das schon wahrhaben.
Die Meinungsbildung
Durch die Hygieneverordnungen im Umgang mit Covid19 der Landes- und Bundesregierungen wurden alle Menschen weltweit in ihrer Freiheit jeglicher Art eingeschränkt.
Im Umgang mit der Verbreitung des Virus und den daraus resultierenden Beschränkungen gab es von vornherein, grob gesagt, zwei Gruppen von Menschen. Diejenigen, für die es eine weitere heftige Grippe war wie sie zyklisch hin und wieder auftritt, und denjenigen, für die der Virus und seine Verbreitung eine potentiell tödliche Bedrohung der Weltbevölkerung darstellt. Es versteht sich, dass es dazwischen jede erdenkliche Einstellung gibt…
Wie und wann es zu welcher Einstellung kommt, ist subjektiv und von zig Faktoren abhängig. Sozialem Status, persönlichem Angstempfinden, beruflicher Tätigkeit, familiärer Anbindung. Ebenso wandeln sich Meinungen je nach Betroffenheit im Umfeld, Anpassung an eine Gruppenmeinung (zum Erhalt der Zugehörigkeit). Oder sie ändert sich durch Überzeugungskraft anderer wie sich eine Fahne im Wind dreht. Usw. usf.
Wir bilden uns unsere Meinung so, dass sie uns entweder beruhigt oder wir ängstlich werden. Wie stark sich welche Einstellungen ausprägen, hängt wiederum von den unterschiedlichsten Gründen ab. Beispielsweise durch elterliche Prägung, leichte Beeinflussbarkeit in Folge von Erkrankungen und/oder Störungen der Psyche.
Testergebnisse bedürfen der Betrachtung, unter welchen Voraussetzungen diese stattgefunden haben. Dazu gehören Umfang, also Anzahl der getesteten Personen, der Zeitraum und die Beschaffenheit des Tests selbst. Verständlich ist, dass erst eine größere Anzahl von Untersuchungen unter den gleichen Bedingungen vergleichbare Ergebnisse liefert. Auch die Empfindlichkeit eines Tests hat entscheidende Auswirkung auf das Ergebnis.
Die kursierenden Informationen, auf Grund derer wir unsere Meinung bilden, sind bereits durch viele Köpfe und damit auch durch viele Filter gegangen. Es ist wie ein Puzzle, das bereits ein von anderen vorgegebenes Bild zeigt, das jedoch in seinen Einzelteilen bei ganz strukturierter, nüchterner Betrachtung ein ganz anderes Bild zeigen kann.
Für eine eigenständige Meinung sollte jeder Mensch(!) sich sein eigenes Bild puzzeln. Dazu müsste sich dieser Mensch mit den Einzelteilen auseinandersetzen. Wie bei einem riesigen Puzzel erst die Ecken, dann die Ränder und dann die Farben und Besonderheiten herauszusuchen. Doch wozu eigene Gedanken machen, wenn jemand anderes schon alle Teile sortiert und vorbereitet hat. Ich nenne das Beeinflussung durch die Verselbstständigung von Teilfakten und die damit verbundenen Verschwörungstheorien über die sozialen Medien.
Was ich nicht verstehe und auch kein Verständnis habe ist, wie schnell Menschen in eine Art Obrigkeitsgehorsam fallen und Nachbarn, Freunde bei dem Anschein eines Regelverstoßes anzeigen, denunzieren oder sich zumindest lautstark darüber mukieren. Kommt uns das nicht auch bekannt vor, wenn wir ca. 80 Jahre zurückdenken? Auch damals wurde uns ein Feind suggeriert, den es nicht gab. Dessen Auswirkungen hängen uns bis heute nach. Was mich umso bedrückter machte, als eine betagte Dame aus meiner Nachbarschaft fragte: „Haben wir wieder Krieg?“
In mir macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Wie schnell Menschen, die sich als intelligent und vernünftig bezeichnen, bereit sind gegen ihren Verstand (griech. paranoid) und wider besseren Wissens eine Meinung zu übernehmen und zu handeln und dem Glauben zu schenken, was ihnen von außen präsentiert wird. Mich friert bei diesen Beobachtungen. Und zeigt mir, wie fragil unsere freiheitliche Grundordnung ist.
Wir wollen die Wahrheit? Die Wahrheit gibt es nicht. Vielmehr ist sie, was wir aus dem, was wir hören, sehen und erleben machen. Demnach müsste die Meinung, die die Mehrheit der Menschen vertritt, die Wahrheit sein. Unabhängig davon, ob sie den Fakten entspricht oder nicht. Es gibt nicht die eine Wahrheit, so sehr sich das einige Menschen auch einreden mögen. Wir können jedoch wahrhaftig sein, also (Auszug aus Wikipedia) eine Denkhaltung einnehmen, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet, und das für wahr Gehaltene zu überprüfen (Ende des Auszugs).
Die Veränderung
Noch Anfang 2020 hatten wir ein Leben, das nicht immer perfekt war und gar manchen Tiefschlag beinhaltete. Doch wir hatten uns ein soziales Netzwerk aufgebaut und jeder für sich einen mehr oder weniger sicheren Umgang damit gefunden. Ja sogar ständig ausgebaut. Wir hatten unsere Treffpunkte, konnten dicht an dicht die Gegenwart der Anderen genießen. Das gab uns Sicherheit und wir pflegten mit unseren Mitmenschen einen respektvollen und zugewandten Umgang.
Alles das ist mit Covid19 nun anders geworden. Abstand, Masken tragen, körperliche Nähe vermeiden, sich isolieren, und alles mit der Begründung der Ansteckungsgefahr. Wie schwer diese neue Art des Miteinanders bereits für körperlich und geistig gesunde Menschen zu ertragen ist, habe ich mehrfach bestätigt bekommen. Er ist nahezu unerträglich, den Menschen denen man nahe ist den Handschlag, die Umarmung, das Begrüßungsküsschen und durch die Maske das Schönste zu verwehren, was wir haben. Unser Lächeln. Wir werden auf staatliche Anordnung dazu gezwungen uns voneinander abzuwenden.
- Für uns psychisch Betroffene,
- uns Menschen mit verstärkten Ängsten,
- uns, die wir äußerlich wie alle anderen erscheinen jedoch mit leicht bis mehrfach schwerst geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen,
- uns, die von der Gesellschafft noch immer mit dem Blick zwischen Abscheu und Mitleid betrachtet werden,
für uns ist die Covid19-Zeit tatsächlich, wie der Beginn eines Krieges.
Zu unserem inneren Gefängnis, dem wir jeden Tag versuchen zu entfliehen, uns ein Stück Teilhabe erkämpfen müssen, kam die äußere Isolation.
Menschen auf die wir uns freuten, die mit offenen Armen und herzlichem Lachen mehr oder weniger aufeinander zustürmten, halten heute inne und stehen uns plötzlich wie angewurzelt gegenüber, als hätte sie ein Stromschlag versteinert.
Arbeitssituationen werden komplett umgestellt. Freizeit- und Selbsthilfegruppen fallen aus. Das enge Netzwerk aus Teilhabe und Lebensfreude: plötzlich nur noch ein seidener Faden der Erinnerung. Dieses für mich gerade erst gewobene Netz, das noch ganz zart und beinahe unwirklich erscheint, ist mit einem Schlag dahin.
Plötzlich bricht alles an Struktur, Sicherheit und Selbstvertrauen wie ein Kartenhaus zusammen. Die ersten Wochen sind noch gut zu verkraften. Sie sind wie eine Auszeit, wie sie durch bereits bekannte Krankheitsschübe, Urlaub oder saisonal bedingte Schließzeiten immer wiederkehrend entstehen. Achja, und da wäre ja noch das Thema Einkaufen. Ohnehin schon schwierig wird Einkaufen mit den Abstands- und Hygieneregeln zum Horrortrip.
Anfangs war die Zeit gut auszuhalten. Antrainierte Strategien funktionierten. Doch nach vier Wochen lassen bereits die ersten Reserven nach. Die ersten Defizite lassen mich die Abhängigkeit von Aktivität, Austausch und körperlicher Nähe erkennen. Jemanden besuchen? Irgendwo hin fahren? Undenkbar…! Sogar der Spaziergang um den Block wird zum Gespensterlauf. Vermummte Menschen, den Blick gesenkt oder aus Verlegenheit starr geradeaus, oder idealer Weise aufs Handy, das in dieser Zeit mehr als schon zuvor zum Medium Nummer eins mutiert. Kein Gruß, kein Lächeln, stets auf 1,5m Abstand bedacht. Was bei einigen besonders ängstlichen Menschen zu kuriosen Kurvenläufen führt. Wie gesagt, gespenstisch. Kommen dann noch Verlust, Trennung und Schmerzschübe dazu, ist das schwarze Loch noch größer und dabei zu gewinnen.
Stunden werden zu Tagen, Tage zu Wochen und Wochen zur Ewigkeit. Zeitgefühl verschwindet. Einfach so, ganz leise. Schmerz und Trauer sind zusammen und es steht nichts dagegen, was mich hält. Keine Freunde, keine Familie. Auch alle anderen sind mit sich selbst beschäftigt. Reden wäre eine Option. Doch für mich, der ich lieber still beobachte, statt über alles und jedes zu reden und jeden Gedanken zu debattieren, ist es keine Option. Ich brauche die körperliche Nähe, die kleine wertschätzende Berührung, die mir sagt „schön, dass Du da bist“. Die Umarmung, wenn ich meine Freude teilen will oder mich meine Schmerzschübe zu zerreißen drohen. Schwatzen, sich necken, dieses Oberflächliche ist nicht meins. Steckt doch in jedem Scherz ein Körnchen Wahrheit. Und doch fehlt mir der eine Mensch, der einfach so zu mir kommt. Einfach, weil er bei mir sein möchte.
Ein Szenario
Ich, der ich ohne Maske auf der Straße unterwegs bin, werde mit verächtlichem oder furchtsamem Blick gemustert, als hätte ich mich mit dem Feind, Covid19, verbrüdert und wäre auf jeden Fall weiträumig zu umgehen. Ebenso gut könnte ich einen dritten Arm haben oder eine grüne Haut.
Es ist ja nicht so, dass bereits die situationsgerechten Verhaltensweisen, z.B. Abwenden beim Husten und Niesen, zu Hause bleiben, wenn man krank ist usw., urplötzlich in Vergessenheit geraten sind und durch Sanktionen in Erinnerung gerufen werden müssten. Okay, es gibt diese Sorte Mensch, die auch mit schwerster Erkältung und Fieber zur Arbeit geht, weil es ihr Pflichtgefühl und manchmal auch ihre Angst vor Repressalien verlangt.
Ein staatlicher Aufruf zur erhöhter Achtsamkeit und angepassten Vorsichtsmaßnahmen, erhöhtem Verantwortungsgefühl gegenüber uns selbst und den Menschen, die nicht so gut oder überhaupt nicht mehr für sich sorgen und auf sich achten können, hätte für mich völlig ausgereicht.
So kann ich nur für mich hoffen, dass Eigenverantwortung, Umsicht und Weitsicht zu einem respektvollen Umgang mit Mensch und Natur führt. Unser Umgang miteinander nicht von Angst, sondern von zugewandter Wertschätzung geprägt wird. Auch über diese Situation hinaus.
August 2020